Ismajl Hoxhaj kam 1970 aus Kosovo nach Deutschland um sich ein Tonbandgerät zu kaufen. 40 Jahre später ist er als Rentner in sein Heimatland zurückgekehrt. Er blieb wegen des Jobs. Zuletzt arbeitete er im Ford-Werk in Saarlouis. In der Zwischenzeit hat er fern seiner Heimat viele Tonbandgeräte gekauft, eine Familie gegründet und als politischer Aktivist leidenschaftlich für die Unabhängigkeit des Kosovo gekämpft. Der Dokumentarfilm ‚Smajl‘ erzählt die Geschichte von Ismajl, von Heimweh und Heimat, von den Konflikten mit den Kindern und von dem Traum eines Patrioten. Es ist die Geschichte eines Gastarbeiters in Deutschland. Ismajl’s Tochter, Zymryte Hoxhaj, sich bereit erklärt uns ein Interview zu geben.
Frage: Zymryte, wie ist die Idee zu dem Film entstanden?
Zymryte Hoxhaj: Philipp und ich sind jahrelange Freunde und wir kennen uns sehr gut. Er ist Filmemacher und ich Grafikdesignerin. Natürlich redet man dann auch über Probleme im Alltag, Familie usw. Und dann kam eins zum anderen. Er ist immer auf der Suche nach interessanten, echten Geschichten. Und dann lags praktisch auf der Hand, dass wir zusammenarbeiten.
Frage: Du hast den Film nicht nur mitinitiiert, sondern auch mitkonzipiert. Du stehst aber auch gleichzeitig als Tochter vor der Kamera. Fiel es dir schwer, beide Rollen zu verbinden
Zymryte Hoxhaj: Es hat sich ganz natürlich angefühlt. Meine Eltern sind sehr offene Menschen und haben Philipp ganz schnell ins Herz geschlossen, sodass von Anfang an eine Vertrautheit gegeben war. Also nein, es fiel mir nicht schwer. Es fiel uns allen nicht schwer. Es war und ist Familie.
Zymryte Hoxhaj: Ja. Das Tonbandgerät. Mein Vater hat uns schon direkt bei der ersten Frage überrascht. Als wir wissen wollten, warum er nach Deutschland kam, war seine Antwort: Ich wollte ein Tonbandgerät kaufen. Mir selbst war das garnicht bewusst gewesen. Aber es war dennoch schlüssig. Musik ist ein enorm wichtiger Teil seines Lebens. Ich denke die alten Balladen, die die Geschichten und Legenden Kosovos thematisieren, haben ihm schon immer Halt und Energie gegeben. Mein Vater war nie in der Schule und die Lieder über Helden, Kämpfe um Kosovo, aber auch über Werte und Moral, sind sicher eine Art Bildung und Geschichtsunterricht für ihn.
Zymryte Hoxhaj: Definitiv. Vielleicht nicht für alle, aber für viele. Nachdem der Film gezeigt wurde, hat sich das auch in den Reaktionen bestätigt. Die Mutter, die Tochter, der alte Mann — jeder hat sich darin wiedergefunden. Unsere Familiengeschichte bezüglich des Gastarbeiter-Daseins während des Kosovo-Konflikts ist keineswegs einzigartig. Viele Kosovoalbaner haben eine sehr ähnliche Vita.
Zymryte Hoxhaj: Er wünscht sich einfach, dass wir alle nach Kosovo ziehen. Die Erwartungen der Eltern sind einfach zu hoch. Wir sind alle in Deutschland aufgewachsen und führen hier unser Leben. Wir können nicht einfach alles hier stehen und liegen lassen um dann im Kosovo die schöne Vorzeigefamilie zu spielen. Er behauptet er hat seine Kinder verloren und bedenkt garnicht, dass man den Spieß auch umdrehen kann. Er ist nach 40 Jahren in Deutschland zurück in den Kosovo und hat uns eigentlich verlassen. Der Unterschied ist, wir nehmen ihm das nicht krumm. Wir verstehen ihn, aber er tut sich schwer damit uns zu verstehen. Eltern eben.
Frage: Hat sich mit dem Film die Beziehung zu deinem Vater verändert?
Zymryte Hoxhaj: Es hat sich insofern was geändert, dass über viele Dinge endlich offener gesprochen wird. Durch den Film haben meine Eltern auch unsere Freunde besser kennengelernt und Philipp hat denen hin und wieder auch mal den Kopf gewaschen. Der Film hat definitiv hier und da das Eis gebrochen.
Zymryte Hoxhaj: Ja. Als er zum Beispiel gesagt hat, er hat seine Kinder verloren. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen und da gab es Streit. Aber im Großen und Ganzen haben wir viel gelacht und sind sehr humorvoll miteinander umgegangen.
Zymryte Hoxhaj: Ich denke jeder Kosovoalbaner kennt die immer gleichen nervigen Fragen: „Ist es in Kosovo oder in Deutschland schöner?“ „Sind die Jungs in Deutschland oder in Kosovo besser?“ „Bist du Deutsche oder Albanerin?“. Das nervt einfach nur. Obwohl ich mir durchaus vorstellen kann in Prishtina zu leben und zu arbeiten (habe ich auch hin und wieder getan), ist die Mentalität doch einfach anders. Ich verurteile das keineswegs, ich merke nur, dass ich da oft nicht reinpasse. Gerade was die Männer- und Frauenrollen betreffen. Selbst jüngere Männer leben immer noch mit dem Bild, dass eine Frau nur fürs Kinderkriegen und den Haushalt zuständig sein sollte. Das ändert sich natürlich nach und nach und klar gibt es auch da Ausnahmen. Aber ich kann mich ja nicht deswegen zurück entwickeln und meine eigenen Wertvorstellungen über Bord werfen. Ein Klassiker ist auch: sobald jemand zu Besuch ist, wird direkt gefragt „na? Hast du jemand gefunden? Es wird so langsam mal Zeit zu heiraten. Falls du noch niemand hast, ich kann dir jemanden finden…“. Jeder mischt sich ein und alle wollen nur, dass man heiratet und am besten natürlich einen Albaner und endlich Kinder auf die Welt bringt. Was man sonst so für Ziele im Leben hat ist zweitrangig. Und das nervt einfach. Jeder Kosovoalbaner, der das liest, weiß nur zu gut, wovon ich hier rede. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen der Hochzeitstouri zu sein und im Sommer in Kosovo einen Typen zu finden, den dann nach Deutschland zu holen und mich ihm dann unterzuordnen. Das bin ich einfach nicht. Gleichzeitig ist das leider immer noch Alltag.
Zymryte Hoxhaj: Würde ich so nicht behaupten. Die Auseinandersetzung findet ja schon immer statt und ist ein langer Prozess. Der Film hilft allerdings, andere Menschen kennenzulernen und mit Tabuthemen zu brechen, was wiederum interessante Diskussionen hervorbringt. Das ist dann eher eine neue Art der Aufarbeitung. Allein dieses Interview wäre ohne den Film ja nie zustande gekommen. Dabei habe ich gesehen, dass wirklich viele Kosovoalbaner unserer Generation diese Konflikte mit sich tragen und Redebedarf haben. Das wird ständig bestätigt. Und der Film dient als Anregung.
Frage: Dein Vater hat leidenschaftlich als politischer Aktivist für die Unabhängigkeit des Kosovo gekämpft. Kannst du uns erzählen, wie sich das auf dich und speziell deine Familie ausgewirkt hat?
Zymryte Hoxhaj: Die politischen Aktivitäten waren omnipräsent in unserer Familie. Wir waren ständig auf Demonstrationen, polititschen Veranstaltungen oder Benefizveranstaltungen. Meine Mutter hat immer gekocht für alle Versammlungen, wir Kinder mussten auch überall anpacken. Wir haben Unterschlupf geboten für politisch verfolgte Flüchtlinge und haben unsere Zimmer geteilt. Also ja. Die Politik war großer Bestandteil unseres Lebens.
Zymryte Hoxhaj: Die haben eindeutig was anderes erwartet. Aber haben sich nie dazu geäußert. Ihnen gefällt der Film und man merkt auch, dass sie stolz sind. Ein paar Aussagen von mir haben denen natürlich erstmal nicht geschmeckt. Aber ihnen war ganz schnell klar, dass das einfach die Realität ist, mit der sie sich auch auseinandersetzen müssen. Fazit: Positiv!
Frage: Kannst du uns noch kurz erzählen, wie es deinem Vater und deiner Mutter jetzt im Kosovo geht?
Zymryte Hoxhaj: Meinem Vater geht es blendend. Es war ja auch seine Entscheidung zurück zu gehen. Meine Mutter ist immer hin- und hergerissen. Sie wäre lieber ständig in Deutschland, bei ihren Kindern und Freundinnen. Meine Eltern kommen ja auch mindestens einmal im Jahr nach Deutschland und das tut denen auch gut. Ich denke, dass sie auf ihre alten Tage noch mal ganz zurück nach Deutschland kehren werden. Das sagen sie zwar nicht, aber ich denke, das wird so sein
Das Gespräch führte Elizabeta Berjani
Der Film „Smajl“ gewann den 1.Preis beim Jaipur Film Festival in der Kategorie Beste Dokumentation. Außerdem nahm er an vielen unterschiedlichen Filmverleihungen teil, unter anderem: DokuFest Prizren, Max-Ophüls-Preis Saarbrücken, Filmwinter Sarajevo, Dokubazaar Slowenien, Filmz Mainz, Femart Prishtina, SCENECS Niederlande und dem Ethnographic Film Festival Quebec.
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